1. Newsletter Ausgabe 11/2022

1. Newsletter Ausgabe 11/2022

Fachrat der Agrargenossenschaften tagte am 10. November am Seddiner See

Die Sitzung des Fachrates der Agrargenossenschaften des Genossenschaftsverbandes – Verband der Regionen stand ganz unter dem Eindruck der aktuellen krisenhaften Herausforderungen und der kaum mehr planbaren Entscheidungen. Insbesondere für das Jahr 2023 werden nicht nur einschneidende wirtschaftliche Entwicklungen erwartet, sondern Schwierigkeiten und erheblicher bürokratischer Aufwand: zum Beispiel im Bereich der Umsetzung der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), der Düngeverordnung und im Hinblick auf zu erwartende Anforderungen an Nachhaltigkeitskriterien bei der Finanzierung durch Banken.

Im Hinblick auf die ab 2023 im Rahmen der GAP mögliche Förderung von Junglandwirten als Mitglieder von Agrargenossenschaften scheint die Interpretation des Gesetzes durch das Bundesministerium vom Willen des Gesetzgebers abzuweichen. Deshalb wurde im Fachrat darüber diskutiert ggf. auch den Rechtsweg einzuschlagen, sollte die Förderung von Junglandwirten ab 2023 nur sehr eingeschränkt möglich sein. Die rechtliche Position des Genossenschaftsverbandes, die auch von einem unabhängigen Rechtsgutachten bestätigt ist, ist eindeutig: Jede Agrargenossenschaft, in der ein Junglandwirt Mitglied und damit Mit-Unternehmer und der seine Hauptbeschäftigung bei der Agrargenossenschaft hat, hat das Recht auf die Junglandwirteförderung im Rahmen der GAP. Dabei ist es unerheblich, ob der Junglandwirt Mitglied im Vorstand oder Aufsichtsrat ist.

Auf großes Interesse stieß die vom Genossenschaftsverband initiierte und von Dr. Simone Roscher geleitete „Initiative Agrar(-genossenschaften)", die zum Ziel hat, die Leistungen der Verbandsfamilie für die Agrargenossenschaften zu bündeln und strategisch weiter auszubauen. Ziel ist es, auch noch deutlicher als Stimme der Agrargenossenschaften wahrgenommen zu werden und mehr Aufmerksamkeit für dieses Zukunftsmodell für die Landwirtschaft zu schaffen.

Weitere Schwerpunkte der Sitzung waren Strategien zur Optimierung der Düngemittelstrategie und der Anbauplanung unter den Bedingungen der GAP ab 2023 sowie der zu erwartenden Anforderungen insbesondere der Banken vor dem Hintergrund von Nachhaltigkeitskriterien. Zum letzten Punkt standen die Fachexperten des Genossenschaftsverbandes bzw. der AWADO Agrar- und Energieberatung nicht nur Rede und Antwort, sondern stellten ganz praktische Lösungsansätze vor.

Abschluss der Sitzung bildeten aktuelle Informationen des Experten des Deutschen Raiffeisenverbandes e.V., Guido Seedler, zur Energieversorgung in Deutschland und deren Lage, Aussichten und Handlungsfelder der Politik.

Landwirtschaft im Krisenmodus: Was tun bei Politik- und Marktversagen?

Winterschulungseröffnung nimmt Zukunftsperspektive von Agrargenossenschaften in den Fokus.

Durch die politischen und wirtschaftlichen Folgen des Krieges in der Ukraine droht unserer Wirtschaft und Gesellschaft eine elementare Krise. Die Wirtschaft und auch die Landwirtschaft sind längst im Krisenmodus. Kaum mehr berechenbare Märkte und damit wenig unternehmerische Sicherheit für Agrargenossenschaften und eine Agrarpolitik, die bisher wenig Anzeichen zeigt, bisher eingeschlagene Wege zu überdenken oder zumindest zu modifizieren.

Die sich aufdrängenden Fragen nach Ernährungssicherheit und sicherheitspolitischer Relevanz der Landwirtschaft – global und national – scheint in der Politik nur vorübergehend Aufmerksamkeit erregt zu haben und ist noch nicht grundlegend angekommen. Die Herausforderungen von Green Deal, Taxonomie und Düngeverordnung bis hin zur Agrarstrukturpolitik bleiben uns konsequent erhalten. Eine wirklich nachhaltige Entwicklung der Landwirtschaft braucht mehr Klarheit und Berechenbarkeit! Im letzten Jahr haben wir uns noch gefragt: Wie soll Landwirtschaft in Zukunft aussehen? Heute müssen wir uns fragen: Welche Handlungsoptionen bleiben uns bei kaum mehr berechenbaren politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen?

Die Eröffnung der Winterschulungen des Genossenschaftsverbands war geprägt von der Diskussion, welche Herausforderungen und auch Chancen die aktuelle Entwicklung für die Landwirtschaft und die Agrargenossenschaften mit sich bringt – in einer Zeit, in der wir es scheinbar mit gleichzeitigen Politik- und Marktversagen zu tun haben. Mit Experten aus Wissenschaft, Vertretern von Verbänden, Banken und Agrargenossenschaften wurde die Situation analysiert und über Entwicklungsoptionen auch kontrovers debattiert.

Marco Schulz, Vorstand des Genossenschaftsverbands, zeigte sich bei der Eröffnung der Veranstaltung sehr verwundert, dass in der Politik häufig ein Zukunftsbild der Landwirtschaft mit kleinen, idyllischen Bauernhöfen gezeichnet wird. „Dies macht mich regelrecht wütend. Denn ich bin überzeugt, dass eine zukunftsweisende Landwirtschaft, die nachhaltig wirtschaftet und Versorgungssicherheit gewährleistet in Deutschland auch starke Agrargenossenschaften braucht, die letztlich ein Zukunftsmodell für eine wirklich nachhaltige Landwirtschaft sind.“

Der Genossenschaftsverband - Verband der Regionen e.V. sieht große politische und wirtschaftliche Herausforderungen, denen sich die Agrargenossenschaften gegenübersehen. Die Agrarpolitik fokussiere sich in der Nachhaltigkeitsdebatte vor allem auf die Ökologie, letztlich komme es aber darauf an auch die Dimensionen der Ökonomie und des Sozialen in den Fokus zu nehmen. Die Agrargenossenschaften sind bereit und in der Lage den kommenden Transformationsprozess in der Landwirtschaft aktiv mit zu gestalten. „Der Genossenschaftsverband steht den Agrargenossenschaften dabei aktiv zu Seite", so Schulz weiter. Dafür hat der Verband eine Initiative ins Leben gerufen, welche die Leistungen für die Agrargenossenschaften bündelt und vor allem als Stimme der Agrargenossenschaften noch deutlicher wahrgenommen werden soll. Es ist wichtig, dass wir als Agrargenossenschaften noch deutlicher sichtbar werden, sagte Dr. Andreas Eisen zuständiger Bereichsleiter vom Genossenschaftsverband.

Aus wissenschaftlicher Sicht gilt es für die Landwirtschaft, trotz der aktuellen Krisen, die grundlegenden Treiber der Entwicklung in der Landwirtschaft klar im Blick zu behalten, sagte Prof. Dr. Martin Banse vom Thünen-Institut. Dies sind vor allem der Klimawandel und das globale Bevölkerungswachstum. Er appellierte an die Agrargenossenschaften ihre Einnahmequellen zu diversifizieren, um Preisschwankungen besser verkraften zu können. Er plädierte für mehr Investitionen in innovative Technologien und die Nutzung von neuen kombinierten Einkommensmöglichkeiten, wie etwa Agri-PV Anlagen. Auch wenn die aktuellen Entwicklungen der Preise im Agrar- und vor allem auch im Energiesektor zu einer unübersichtlichen und angespannten Gesamtsituation führen, sieht er kein Marktversagen an den Agrarmärkten. Zumindest erfordere die aktuelle Situation aus seiner Perspektive keine politischen Eingriffe. Marktschwankungen – auch erhebliche – habe es in der Vergangenheit immer wieder gegeben.

"Kann – und wie sollte – die Landwirtschaft mit den aktuellen und zukünftigen politischen Rahmenbedingungen umgehen?", fragte der zweite Hauptredner der Veranstaltung, Prof. Dr. Dr. Christian Henning von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Er fand klare Worte, was die Agrargenossenschaften schaffen müssen: „Die Agrargenossenschaften müssen sich den Veränderungen stellen. Wenn Regulation durch die Politik nur als Einschränkung gesehen wird, gegen die man sich wehren muss, wird dies nicht das Überleben der Betriebe sichern.“ Die Transformation der Landwirtschaft sei in der Gesellschaft spürbar gewollt. Es gelte sich konstruktiv in diesem Prozess zu beteiligen.

„Ich bin Vorstand der Agrargenossenschaft Selbitz eG und Aktivist für Versorgungssicherheit“, stellte sich Maik Bilke zu Beginn seines Diskussionsbeitrags vor. Er betonte unter Beifall, dass die Landwirtschaft und die Agrargenossenschaften ihre Verantwortung nicht nur für eine nachhaltige Versorgung mit Lebensmitteln, sondern auch für die Natur und Umwelt, ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und vor allem auch für ihre Region nicht erst seit heute aktiv angenommen haben. Sie seien natürlich bereit, sich weiterzuentwickeln, lehnen es aber ab, von der Politik am Gängelband geführt zu werden.

Zahlreiche Agrargenossenschaften, Vertreter von Genossenschaftsbanken und Verbänden waren der Einladung des Genossenschaftsverbands – Verband der Regionen e.V. zur Eröffnungsveranstaltung der Winterschulung 2022/23 an den Seddiner See in Brandenburg gefolgt. Die Diskussionen wurden über das Ende der Veranstaltung bei einem gemeinsamen Mittagessen mit Blick auf den Seddiner See intensiv weitergeführt.

Interviewerin:

Mit Ihren Forschungsschwerpunkten bewegen Sie sich an der Schnittstelle zwischen Politik- und der Agrarwissenschaften. Was ist in Ihren Augen mit diesem speziellen Hintergrund die größte Herausforderung für die Landwirtschaftspolitik?

Prof. Dr. Dr. Christian Henning:

Die größte Herausforderung stellen heute die sich ganz klar abzeichnenden neuen gesellschaftlichen Trends, insbesondere in Richtung Nachhaltigkeit, dar. Für die Landwirtschaft bedeutet dies: Mehr Ökosystemleistungen, d.h. Reduktion der CO2 Emissionen und der Nitratdrift sowie eine Steigerung der Biodiversität, effizient und effektiv bereitzustellen. Effizient heißt, dass die Landwirtschaft nicht nur mehr Ökosystemleistungen erbringt, sondern dabei auch auf möglichst wenig konventionelle Produktion verzichtet. Effektiv bedeutet, dass man die Erbringung der Ökosystemleistungen nicht an einfachen Narrativen wie zum Beispiel der Förderung von Ökolandbau festmacht, sondern diese mit Hilfe konkreter wissenschaftlich fundierten Indikatoren misst und honoriert. Insbesondere muss diese Honorierung dynamische Anreize für Landwirte setzen, in neue Technologien zu investieren, die eben noch nachhaltiger und produktiv sind, d.h. mehr Ökosystemleistungen und gleichzeitig auch hochproduktiv konventionelle Agrarrohstoffe herstellen können. Technischer Fortschritt umfasst konventionelle Produktion und Nachhaltigkeit! Und wir brauchen innovative Technologien um die dringenden globalen Entwicklungsprobleme: Klima- und Ernährungskrisen zukünftig zu bewältigen!

Interviewerin:

Wie können die Landwirt*innen und die Agrargenossenschaften auf den Nachhaltigkeitstrend reagieren? Was müssen sie also tun?

Prof. Dr. Dr. Christian Henning:

In erster Linie stellt die Umsetzung einer nachhaltigen Landnutzung eine Herausforderung für die Politik da! Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, die Anreize für Unternehmer bieten, gesellschaftlich gewünschte Ökosystemleistungen zu produzieren. Dann werden effiziente Technologie automatisch durch die unternehmerische Innovationskraft eingesetzt bzw. dynamisch entwickelt. Eine bürokratische Vorgabe spezieller Technologien ist immer ineffizient, da diese Unternehmeranreize blockiert bzw. falsch setzt. Ein Narrativ ist zum Beispiel, dass die Förderung der ökologischen Landwirtschaft eine adäquate politische Maßnahme ist, um Ökosystemleistungen effektiv bereitzustellen. Aber ökologische Landwirtschaft, ist eine administrativ definierte statische, „nach hinten gerichtete“ Produktionstechnik, die einerseits viele Ökosystemleistungen gar nicht hinreichend bereitstellt und logischerweise grundsätzlich immer noch verbessert werden kann und muss. Umgekehrt führt der Markt allein ebenfalls zu den falschen Anreizen, da wichtige Ökosystemleistungen wie Wasser- und Klimaschutz über den Markt nicht hinreichend honoriert werden können. Wir brauchen politische Steuerungsmechanismen, die gesellschaftliche Bedürfnisse in korrekte Anreize für die Landwirte übersetzen. Wenn die Anreize richtig gesetzt sind, dann wird der dynamische Wettbewerb zwischen den landwirtschaftlichen Unternehmern dafür sorgen, dass die gewünschte Trendwende effektiv umgesetzt wird. Ein anderer Aspekt, in dem Landwirte gefordert sind, ist ihre aktive Rolle in dem gesellschaftspolitischen Diskurs. Leider wird die politische Nachhaltigkeitsdebatte gerade auch in Deutschland sehr emotional und nicht auf einer wissenschaftlich fundierten Sachebene geführt. Das heißt, es besteht die realistische Gefahr, dass mittelfristig die agrarpolitische Umsetzung auf der Grundlage vereinfachter und verzerrter Narrative erfolgt. Zum Beispiel, dass Ökologische Landwirtschaft mit effizienter nachhaltiger Landnutzung gleichgesetzt wird. Dies wäre ohne Frage eine erhebliche Fehlentwicklung, die vorhandene Potentiale einer nachhaltigen Landwirtschaft in erheblichem Maße verschenkt. Allerdings können sich die Konsumenten in reichen Industrieländern, wie Deutschland, solche Fehlentwicklungen in den nächsten 20 Jahren durchaus leisten. Vor allem, wenn man berücksichtigt, dass die Landwirtschaft hier weniger als 1% der gesamten Wirtschaftsleistung erbringt. Daher sind es dann ausschließlich die betroffenen Menschen, das sind die Landwirte, die von dem Sektor leben, aber auch engagierte Klima,- und Umweltschützer, die von dieser Fehlentwicklung stark benachteiligt wären. Insofern brauchen wir einen Schulterschluss von Landwirten und Natur- und Umweltschützern, um der Politik hinreichende Anreize zu geben, nicht weiter zu versagen und endlich die Win-Win Situation einer wirklich nachhaltigen Landwirtschaft für die Gesellschaft herzustellen. Hier sind politisches Engagement und eine kluge politische Kommunikation der landwirtschaftlichen Interessenorganisationen gefragt.

Interviewerin:

Das heißt kurzum die Landwirt*innen und Agrargenossenschaften sollten jetzt aktiver für Ihre Interessen einstehen und die politischen Rahmenbedingungen mitgestalten?

Prof. Dr. Dr. Christian Henning:

Ganz genau. Und, wenn ich das noch spezifizieren darf: Insbesondere müssen Sie eben wesentlich aktiver ihre Bereitschaft signalisieren, die gesellschaftlich gewünschten Ökosystemleistung zu produzieren. Bislang nehmen die Landwirte die Forderung nach mehr Ökosystemleistungen vorwiegend als Regulation wahr, also als eine Einschränkung, gegen die man sich wehren muss. Um die Gesellschaft zu erreichen, ist es aber klüger, der Gesellschaft klarzumachen, dass man ein guter Partner ist, um all die Nachhaltigkeitsziele, die die Gesellschaft vernünftigerweise anstrebt, zu erreichen – nur eben auf eine effektive und effiziente, aber auch sozialgerechte Art und Weise, gerade letzteres beinhaltet dann aber auch, dass realen Kosten auch real kompensiert werden.

Interviewerin:

Das heißt, Dialog ist hier das Stichwort?

Prof. Dr. Dr. Christian Henning:

Ganz genau: Dialog ist das Stichwort. Im Moment ist bei den Bauern aber eher eine Abwehrhaltung zu beobachten, was ich verstehen kann, weil man sich sehr an die Wand gedrängt fühlt und immer als der Schuldige, derjenige, der es falsch macht, dargestellt wird. Faktisch ist dies definitiv nicht wahr und deshalb müssen sich die Landwirte aus dieser „Schwarzer-Peter“-Rolle aktiv befreien.

Interviewerin:

Inwiefern sehen Sie denn die Agrargenossenschaften als das zukunftsfähige Organisationsmodell für eine nachhaltige Landwirtschaft?

Prof. Dr. Dr. Christian Henning:

Zur effektiven Umsetzung nachhaltiger Landnutzung brauchen wir neue Organisationsformen jenseits von Staat und Markt. Ein kurzes Beispiel: Ökosystemleistungen – wie z.B. Biodiversität oder auch Wasserschutz – werden nicht von individuellen Betrieben, sondern in verbundenen Gebietskulissen erbracht. Das heißt es sind am Ende alle Betriebe in einer Region oder Gemeinde, die gemeinsam wie ein Netzwerk, Ökosystemleistung erbringen. Dafür braucht man eine geeignete Organisationsform, die die Kooperation zwischen den Betrieben effektiv gestaltet. In diesem Zusammenhang, denke ich, dass die landwirtschaftliche Genossenschaft ohne Frage schon eine sehr gut angelegte Grundkonzeption aufweist, die diese Kooperation dann sehr gut leisten kann.

Interviewerin:

Welche Maßnahmen können von Seiten der Politik – ich betone – kurzfristig umgesetzt werden, um die Landwirt*innen jetzt zu entlasten?

Prof. Dr. Dr. Christian Henning:

Also wenn wir nur über die Entlastung sprechen, dann muss man erst mal klären, wieweit diese gehen soll. Ohne Frage gibt es individuelle Betriebe, die wirklich aufgrund dieser besonderen Krisenumstände und des strukturellen Wandels, der derzeit läuft, in Engpässe kommen, und Unterstützung brauchen. Zur Unterstützung dieser Betriebe sind gezielte direkte Einkommenstransfers aus meiner Ansicht dann ein adäquates politisches Instrument. Gezielt heißt aber, dass man nicht einfach eine Pauschale pro Hektar an alle Betriebe bezahlt, sondern diese Transfers müssen schon auf bedürftige Betriebe bzw. Betriebsleiter fokussiert sein. Kurzfristige Maßnahmen zur Abfederung der aktuellen Krisensituation sind wichtig, aber mit Sicherheit nicht der vordringlichste Bereich, in dem die Politik aktuell gefordert ist. Der dringlichste agrarpolitische Handlungsbedarf umfasst trotz aktueller Krisen m.E. die Implementation innovativer politischer Maßnahmen, die klare Anreize für landwirtschaftliche Unternehmer setzen, gesellschaftlich geforderte Ökosystemleistungen sowie benötige klassische Agrarrohstoffe effizient zu produzieren. Dies wären zum Beispiel Permit-Systeme, das sind Umwelt-Zertifikate, die handelbar sind. Diese werden bereits zur Reduktion der THG-Emissionen in industriellen Sektoren in der EU eingesetzt. Permit-Systeme sind auch zur effizienten Steuerung der Ökosystemleistungen in der Landwirtschaft hervorragend geeignet. Zwar gibt es bislang noch juristische und technische Schwierigkeiten, die aber gelöst werden können. Daran sollte die Politik jetzt mit Hochdruck arbeiten, damit diese möglichst schnell implementiert werden können.

Aufgrund der durch die Energiekrise drastisch gestiegenen Preise ist es deutlich wahrscheinlicher, dass in der Vergangenheit eingemottete Ideen zur Energieeffizienzsteigerung und zur Stromerzeugung heute wirtschaftlicher sind, als zuvor gedacht.

Dachanlagen: Eigenverbrauch kann sich lohnen

Von einer reinen Volleinspeisung raten wir jedoch wirtschaftlich ab.

Während sich Photovoltaik-Anlagen für die reine Einspeisung im kleinen Umfang wirtschaftlich kaum oder gar nicht tragen, können Photovoltaik-Anlagen auf Dächern durch teilweise Eigennutzung des Stromes auch in kleinem Rahmen wirtschaftlich umgesetzt werden. Wie viel Strom erzeugt werden kann und wie viel davon selbst genutzt werden kann, ist auf Basis des eigenen Lastverlaufes für ein repräsentatives Jahr gut berechenbar.

Aufgrund der sehr hohen Bezugspreise bei Neuverträgen und der höheren Verkaufserlöse des Überschusses können trotz gestiegener Kosten im Vergleich zu früheren Jahren auch Anlagen mit geringeren Eigenverbrauchsquoten wirtschaftlich attraktiv sein. Um die Wirtschaftlichkeit noch zu verbessern, besteht auch die Möglichkeit, eine Zuschussförderung über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung in Anspruch zu nehmen. Allerdings ist dies aufgrund aktuell sehr hoher Bearbeitungszeiten nur zu empfehlen, wenn die Beauftragung eines Anlagenbauers ohnehin erst in 6 bis 12 Monaten auf dem Plan steht. Daher ist es auch nicht empfehlenswert, ein unterschriftsreifes Vorhaben allein aus diesem Grund aufzuschieben.

Neben der eigenen Umsetzung kann auch eine Verpachtung der Dachfläche gegen Bezahlung in Erwägung gezogen werden, sodass erforderliche Sanierungen durch die Verpachtungseinnahmen finanziell realisiert werden können. Eine Verpachtung der Dachfläche ist insbesondere dann sinnvoll, wenn man selbst den eigens produzierten Strom nicht benötigt. Zur Veranschaulichung hilft ein Beispiel, das die Situation der vergangenen Jahre und heute vereinfacht gegenüberstellt: Die Vermeidung von 50.000 kWh eigenem Bezug durch eigene Erzeugung hat bei gerundeten 20 ct/kWh Bezugskosten (also Arbeitspreis, Netzentgelte, Abgaben und Umlagen), 10 ct/kWh Stromgestehungskosten und etwa 2,5 ct/kWh anteilige EEG-Umlage auf selbstgenutzten Strom zu einer Einsparung im Bezug von 3.750 € pro Jahr geführt. Bei gestiegenen Bezugskosten von beispielsweise 50 ct/kWh, Abschaffung der EEG-Umlage und kalkulatorischen 25 % höheren Stromgestehungskosten spart die gleiche Anlage Bezugskosten von 18.750 € pro Jahr. Der ein oder andere, dessen Altvertrag mit mehrjähriger Laufzeit noch besteht, wird sich sicherlich denken, dass 50 ct/kWh übertrieben sind, aber leider sind uns Praxisbeispiele bekannt, bei denen das nicht einmal mehr ausreicht.

Freiflächenanlagen und Agri-PV: Alternativen für die Zukunft

Agri-PV-Anlagen ermöglichen eine gleichzeitige Nutzung von Flächen für die landwirtschaftliche Pflanzenproduktion und die PV-Stromproduktion und haben deshalb einen klaren Vorteil gegenüber Freiflächenanlagen.

Wenn bereits alle Dachflächen belegt sind oder aus Statikgründen nicht in Frage kommen, bleiben möglicherweise Alternativen, stattdessen in die Fläche zu bauen. Gerade bei weniger guten Böden und zunehmender Trockenheit stellt sich für viele Landbesitzer die Frage, ob eine Verpachtung der Fläche zur Bebauung durch eine Freiflächen-Photovoltaikanlage nicht wirtschaftlich vielversprechender ist als die landwirtschaftliche Nutzung. Eine Problematik ist dabei, dass die Entscheidung häufig für etwa 30 Jahre getroffen werden muss und somit zukünftige Entwicklungen schwer abzusehen sind. Abgesehen von der Preisentwicklung kann beispielsweise eine Übernahme durch die Erben in diesem Zeitraum anstehen. Dabei kann es durch eine dann gewerbliche Einordnung der Fläche zu erheblichen Mehrbelastungen im Hinblick auf die Erbschaftssteuer kommen. Soll die Fläche also langfristig zum Landwirtschaftsbetrieb gehören und auch ihren Ackerstatus behalten, ist die Freiflächen-Photovoltaikanlage möglicherweise nicht die beste Lösung.

Durch die Errichtung einer Agri-PV-Anlage könnte eine weitere landwirtschaftliche Nutzung der Fläche parallel zur Stromerzeugung ermöglicht werden. Die Agri-PV-Anlage hat gegenüber der Freiflächen-Photovoltaikanlage den Vorteil, dass nur etwa 10 bis 15 % der landwirtschaftlichen Flächen für den Bau benötigt werden und beim direkten Vergleich der beiden PV-Anlagen ein deutlich geringer Verlust der nutzbaren Flächen zu verzeichnen ist. Die Pachterträge bei Agri-PV sind im Idealfall ähnlich hoch. Allerdings hängt dies entscheidend von der Art und Größe der Agri-PV-Anlage ab.

Hinsichtlich der landwirtschaftlichen Nutzung ist zu bedenken, dass auch wenn 85 % der Fläche grundsätzlich zur Verfügung stehen, die Nutzung der Fläche schon deutlich in der Breite und Höhe der einsetzbaren Maschinen eingeschränkt ist. Am ehesten kommen Tierhaltung, Obst und Gemüse und andere Sonderkulturen in Betracht. Falls die Anlage unmittelbar an den Betrieb angrenzt, ist es auch denkbar einen Teil des Stroms selbst zu nutzen.

Wenn Sie eine unabhängige Meinung als Entscheidungsgrundlage benötigen, kommen Sie gerne auf Herrn Martin Flegler oder Herrn Ralf-Dieter Lewin zu.

Martin Flegler Profil bild

Martin Flegler

Betreuung und Beratung Hannover/Rendsburg
Standort Hannover

Energieberater

Neubewertung von Feldinventar: Erfolgreich gegen negative Folgen für Genossenschaften eingesetzt

Die Bundesregierung hat eine Neubewertung des Feldinventars beschlossen. Für Geschäftsjahre, die im Jahr 2022 enden, sind neue Werte für Standardherstellkosten anzusetzen. Bei Genossenschaften mit Feldinventar hätte die Aufwertung zu deutlichen Gewinnsprüngen, im Durchschnitt von 30 % zum Beispiel bei Winterweizen oder Roggen, geführt. Der Genossenschaftsverband hat sich erfolgreich für eine Lösung eingesetzt, um die negativen Folgen des Gewinnsprungs zu verhindern. Das Bundesministerium für Finanzen hat jetzt die Möglichkeit geschaffen, 80 % des Gewinns aus der Neubewertung in eine Rücklage einzustellen. Diese Rücklage ist innerhalb von 4 Jahren bzw. jeweils im Umfang von mindestens 25 % je Geschäftsjahr aufzulösen.

Änderung des Pauschalsteuersatzes für Landwirte ab 01.01.2023 auf 9 %
Das Bundesfinanzministerium überprüft jährlich die Vorsteuerpauschale. Nun hat das gesetzlich vorgeschriebene Monitoring ergeben, dass die Besteuerung für land- und forstwirtschaftliche Betriebe anhand des pauschalen Durchschnittssatzes zum 01.01.2023 erneut anzupassen ist. Der Durchschnittssteuersatz und die Vorsteuerpauschale für Landwirte wird für 2023 auf 9,0 Prozent angepasst. Im Jahr 2022 betrug er 9,5 %. (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 3 UStG)

Temporäre Absenkung des Umsatzsteuersatzes auf Gas- und Wärmelieferungen auf 7% (vom 01.10.2022 bis 31.03.2024)

Ein ermäßigter Umsatzsteuersatz gilt hierbei nur für die Lieferung von Gas über das Erdgasnetz und von Wärme über ein Wärmenetz (Wärmeerzeugungsanlage). Nicht entscheidend ist dabei, um welche Art von Gas es sich handelt (z. B. Biogas oder Erdgas). Ebenso erfasst sind Lieferungen von Gas, das vom leistenden Unternehmer per Tanklastwagen zum Leistungsempfänger für die Wärmeerzeugung transportiert wird. Ermäßigt besteuert wird insoweit auch die Einspeisung von Gas in das Erdgasnetz. Ebenso umfasst die Steuersatzermäßigung auch die Mehr-/Mindermengen-Abrechnung von Gas auf Ebene des Ausspeisenetzbetreibers sowohl im Verhältnis zum Transportkunden als auch im Verhältnis zum Marktgebietsverantwortlichen. Allerdings verbleiben viele faktische Fragen, die die Steuerpflichtigen und deren Lieferanten zu klären haben, wenn ein Steuersatz temporär geändert wird

Ermäßigter Umsatzsteuersatzes für Speisen von 7% wird bis 31.12.2023 verlängert
Restaurations- und Verpflegungsdienstleistungen unterliegen auch nach dem 31.12.2022 weiterhin dem ermäßigten Umsatzsteuersatz für die Abgabe von Speisen in Höhe von 7%. Ausgenommen ist die Abgabe von Getränken. Hier gilt ein Umsatzsteuersatz von 19%. (§ 12 Abs. 2 Nr. 15 UStG)

Nachdem der Anbauplan für 2023 feststeht und die Winterfrüchte bereits im Boden sind, wurde nach einer langen Hängepartie der deutsche Strategieplan zur nationalen Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) am 21.11. endlich genehmigt. Hintergrund der erst jetzt erfolgten Genehmigung ist die verspätete Einreichung des Strategieplans durch das Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung. Nun sind die Bundesländer in der Pflicht, die einzelnen Länderprogramme schnellstmöglich auf den Weg zu bringen.

Im nächsten Newsletter stellen wir Ihnen unser AWADO-GAP-Tool zur Optimierung der Fördermittel unter Einbeziehung der wirtschaftlichen Betrachtung der einzelnen Kulturen vor. Wenn Sie vorher Interesse haben, melden Sie sich gerne bei uns.

Katja Lewalter-Düssel, Wirtschaftsprüferin und Steuerberaterin (44), ist seit 1. September neues Mitglied und erste Frau im Vorstand des Genossenschaftsverbandes – Verband der Regionen e.V. Sie folgt auf das langjährige Vorstandsmitglied Siegfried Mehring.

Frau Lewalter-Düssel, was verbindet Sie mit dem Genossenschaftsverband?

Katja Lewalter-Düssel: Im Jahr 2000, also vor über 20 Jahren, bin ich beim Genossenschaftsverband als Prüfungsassistentin gestartet, war mehrere Jahre im Grundsatz tätig und habe dort mein Examen als Steuerberaterin und Wirtschaftsprüferin absolviert. Anschließend war ich Geschäftsführerin bei der AWADO WPG/StBG und danach mehrere Jahre Abteilungsleiterin Prüfung/Betreuung Banken. Insofern verbinde ich mit dem Genossenschaftsverband fast mein ganzes bisheriges Berufsleben und die Hälfte meines gesamten Lebens. Eine sehr lange, prägende und sehr schöne Zeit!

Welche Themen verantworten Sie im Vorstand? Welche sind wichtig für die Agrargenossenschaften?

Katja Lewalter-Düssel: Meine Verantwortungsbereiche sind die Bereiche Grundsatzfragen und Infrastruktur Prüfung, IT und Prüfung/Betreuung Banken im süd- und westlichen Verbandsgebiet.

Für die Agrargenossenschaften sind besonders die Themen aus dem Grundsatzbereich relevant. Hier unterstützen wir die genossenschaftliche Pflichtprüfung der Agrargenossenschaften durch effiziente Prüfungsprogramme bzw. durch die Digitalisierung der Prüfungsdurchführung.

Fragen der Nachhaltigkeit haben auch für die Landwirtschaft immer stärkeren Einfluss auf Finanzierungs- und Investitionsentscheidungen. Hier helfen wir unseren Expert*innen in der Agrarwirtschaft mit bank- und rechnungslegungsspezifischen Know how. Regulierung, Digitalisierung und Nachhaltigkeitsanforderungen stellen gerade kleinere und mittlere Betriebe vor Herausforderungen – hier schaffen wir zentrale und praxisorientierte Lösungen.

Was schätzen Sie besonders an Genossenschaften und im Speziellen an Agrargenossenschaften?

Katja Lewalter-Düssel: Genossenschaften verknüpfen wirtschaftlichen Erfolg und wertegebundenes Unternehmertum. Sie sind eine Unternehmensform mit Purpose und haben damit Zukunftspotenzial.

Die Agrargenossenschaften stehen als Mehrfamilienbetriebe für kooperatives Unternehmertum. Die Möglichkeit gerade auch für junge Landwirtinnen und Landwirte unternehmerische Verantwortung als Mitunternehmerin bzw. Mitunternehmer zu übernehmen, ist in der Branche einzigartig. Die entdecken auch andere Branchen gerade als modernen Ansatz für sich.

Auch Regionalität ist ein Trend, für den Agrargenossenschaften und alle anderen Genossenschaften seit jeher stehen. Das ist die Außensicht auf Genossenschaften. Mich begeistert vor allem auch der Tatendrang unserer Mitglieder und das Vertrauen, das unserem Verband entgegengebracht wird. Als Hüter des Genossenschaftswesens wollen wir – und auch ich ganz persönlich – die Idee der Genossenschaft weitertragen, fördern und auch zu Neugründungen – auch bei Agrargenossenschaften – motivieren!